Warteschlangensimulation
Warteschlangensimulation
Warteschlangen treten in vielen Situationen in Produktion und Logistik auf. Sie entstehen immer dann, wenn der Kundenankunftsstrom nicht exakt mit der verfügbaren Bedienleistung abgeglichen werden kann:
- Bei Inbound-Callcentern können die Zeitpunkte, an denen Kunden anrufen, nicht exakt vorhergesagt werden, so dass entweder Agenten auf Verdacht in Bereitschaft gehalten werden müssen oder aber Kunden gegebenenfalls warten müssen.
- Die exakten Ankunftszeiten von Flugzeugen am Zielflughafen hängen von verschiedenen Witterungsbedingungen, vor allem von Windrichtung und Stärke, ab. Daher ist eine exakte Vorabfestlegung von Landezeitslots nur bedingt möglich bzw. müssen Flugzeuge immer wieder Warteschleifen fliegen oder ab am Boden auf eine Startfreigabe warten, wenn zuerst ein verspätet eintreffendes Flugzeug eine Landeerlaubnis erhalten muss.
- In der variantenreichen industriellen Fertigung schwanken die Bedienzeiten an einzelnen Stationen in Abhängigkeit von den konkreten Eigenschaften des jeweiligen Werkstücks. Daher ist auch hier, insbesondere bei Losgröße 1, eine vollständig getaktete Fertigung nicht immer möglich. Soll dennoch eine hohe Auslastung der Maschinen sichergestellt werden, so kann dies nur über Pufferbestände vor den Anlagen erfolgen.
Generell sind Warteschlangen meist unerwünscht, da diese entweder zu unnötigen Zeitverlusten führen (Callcenter-Warteschlange), direkt unnötige Kosten zur Folge haben (Kerosinverbrauch durch Warteschleifen vor einer Landung) oder indirekt Kosten verursachen (Kapitalbindung durch Lagerbestände, lange und schlecht vorhersagbare Liefertermine). Ziel der Warteschlangentheorie ist es daher, Bediensysteme so auszulegen, dass die sich zusätzlichen Kosten z.B. durch mehr Bediener und die finanziellen Vorteile durch kurze Warteschlangen in einem optimalen Verhältnis befinden.
Warteschlangentheorie und Simulation
Die Warteschlangentheorie als Teilgebiet der Stochastik wurde vor über 100 Jahren von Agner Krarup Erlang begründet. Ursprüngliches Hauptanwendungsgebiet war die Personalbedarfsplanung in manuellen Telefonvermittlungstellen. Seit den 1950er Jahren traten vermehrt Fragen aus der industriellen Fertigung in den Fokus der Forschung. Auf Basis der analytischen Warteschlangentheorie können Wartezeitverteilungen für einfache Modelle exakt bestimmt werden und können Kenngrößen für komplexere Modelle und Warteschlangennetze approximiert werden.
Je komplexer die zu betrachtenden Modelle sind, desto weiter sinkt jedoch die Güte der jeweiligen Modelle. Mit dem Verfügbarwerden von immer mehr Rechenleistung rückt daher seit ca. den 1980er Jahren die Simulation von Warteschlangenmodellen immer mehr in den Mittelpunkt der Forschung. Mit Hilfe von Simulationsmodellen lassen sich prinzipiell alle denkbaren Modelle und Fragestellungen abbilden. Die Güte der Ergebnisse wird lediglich durch die verfügbare Rechenleistung limitiert. Bewegten sich die notwendigen Rechenzeiten im letzten Jahrhundert noch im Bereich von Stunden und Tagen, so sind heute einige Sekunden bis hin zu wenigen Minuten für die Simulation üblich. - Für einfache Modelle reicht bereits die Rechenleistung eines Smartphones aus.
Simulatoren
Im Rahmen der Forschung am SWZ sind die folgenden 6 Simulationswerkzeuge entstanden. Die drei Desktop-Programme und das Python-Projekt stehen als Opensource zum kostenlosen Download zur Verfügung. Die Webapps stehen zur kostenlosen Nutzung zur Verfügung:
Warteschlangensimulator
Simulation beliebiger, komplexer Warteschlangennetze. Darstellung der Modelle als Fließbilder.
Mini Warteschlangensimulator
Animation und Simulation einfacher Warteschlangennetze direkt im Browser
Mini Simulator
Simulation eines G/G/c/K+M-Modells inkl. Batch-Ankünfte, Batch-Bedienungen, Ungeduld, Wiederholer nund Weiterleitungen.
Callcenter Simulator
Simulation und Optimierung realer, komplexer Callcenter-System bestehen auf mehreren Anrufer- und Agentengruppen
Mini Callcenter Simulator
Abbildung eines einfachen Callcenter-Modells aus einem Callcenter und einer Anrufergruppe, Vergleich Erlang-C-Ergebnissen
QueueSim
Python-Bibliotheken und Jupyter-Notebooks zur ereignisorientierten stochastischen Simulation
Weitere Webdienste
Warteschlangenrechner
Berechnung von Erlang-B, Erlang-C, Pollaczek-Chintschin, Allen-Cunneen und weiteren Modellen
Wahrscheinlichkeitsverteilungen
Anzeige von Dichten, Verteilungsfunktionen und Erzeugung von Zufallszahlen
Literatur und weitere Materialien
Callcenter – Analyse und Management
Modellierung und Optimierung mit Warteschlangensystemen
Simulation mit dem Warteschlangensimulator
Mathematische Modellierung und Simulation von Produktions- und Logistikprozessen
Glossar Warteschlangentheorie
Industrieprojekte
Die auf dieser Seite beschriebenen Methoden der Warteschlangentheorie sowie der ereignisorientierten stochastischen Simulation wurden im Rahmen einer Reihe von Industrieprojekten eingesetzt. In der folgenden Liste finden sich einige Beispiele für entsprechende Projekte:
- Callcenter Simulation: Arcor, Telekom
- Flugplanung: Lufthansa
- Fertigungsplanung: Dillinger Hütte
- Logistikplanung: BASF
Veröffentlichungen
- A. Herzog: A Discrete Process Modelling Study of ARGESIM Benchmark ’C2 – Flexible Assembly System’ with Warteschlangensimulator. In: Simulation Notes Europe 34(1), 2024, 23-28.
- A. Herzog: A Discrete Process Modelling Study of ARGESIM Comparison ’C22 – Non-standard Queuing Policies’ with Warteschlangensimulator. In: Simulation Notes Europe 34(1), 2024, 29-34.
- A. Herzog, J. Necil, M. Pollet, H. Busch. Methoden und Konzepte des Digitalen Logistikzwillings der AG der Dillinger Hüttenwerke (Dillinger). In: Simulation in Produktion und Logistik 2021. Cuvillier Verlag, 2021, 157-166.
- A. Herzog: Simulation mit dem Warteschlangensimulator, Mathematische Modellierung und Simulation von Produktions- und Logistikprozessen, Springer, 2021.