Das Virtuelle Mikroskop - Visualisierung und Inspektion der Geometrie von simulierten Partikelschüttungen
Das Virtuelle Mikroskop - Visualisierung und Inspektion der Geometrie von simulierten Partikelschüttungen
Motivation und technischer Hintergrund
Viele Materialien und Stoffe sind aus Partikeln aufgebaut, vom Beton bis zur Tablette. Manche Eigenschaften der fertigen Stoffe sind bereits stark durch die geometrischen Eigenschaften der Partikelmischungen bestimmt. Bei Beton ist z.B. die Raumausfüllung der trockenen Mischung, also das Verhältnis von Behältergröße zum Volumen der enthaltenen Partikel, ausschlaggebend für die Festigkeit des Betons nach der Aushärtung. In anderen Anwendungen, etwa bei der Herstellung von Schäumen, spielen Verteilung und Gestalt der Zwischenräume zwischen den 'Partikeln', die in diesem Falle Hohlräume sind, eine entscheidende Rolle für die Eigenschaften des Materials.
Die richtige Wahl der Mischungszusammensetzung bzw. Korngrößenverteilung ist daher entscheidend bei der Entwicklung von Partikel-basierten Werkstoffen mit vorgegebenen Eigenschaften. Bisher sind dafür meist noch aufwändige Laborexperimente erforderlich, es gibt allerdings erfolgreiche Ansätze, zumindest die Geometrie der Mischungen am Rechner zu simulieren. In der AG Kolonko wird seit einigen Jahren ein Programmsystem „RaSim“ entwickelt, das die zufällige dichte Anordnung (Packung) einer Mischung von kugelförmigen Partikeln mit einer vorgegebenen Korngrößenverteilung (KGV) simuliert. Wesentliches Anwendungsgebiet ist die Betonforschung, in der KGVs mit einer möglichst hohen Raumausfüllung gesucht werden. Als Ergebnis liefert die Simulation im Moment i.W. die erreichte Raumausfüllung als Prozentangabe und erstellt statische Bilder von simulierten Packungen mit Standardsoftware.
Für einen Einsatz der Simulation in einem breiteren Anwendungsfeld, etwa der Herstellung von Filtern und Membranen aus Partikeln, aber auch für die Herstellung von Mischungen für Gießereiformen oder den 3D-Druck, müssen weitere, qualitative Eigenschaften der Packungen ermittelt werden, die z.B. die lokale Interaktion der Partikel betreffen. Dies ist besonders dann erforderlich, wenn nicht-sphärische Partikel simuliert werden, wie dies in Ansätzen bereits möglich ist. Hier möchte man die relative Lage der (unterschiedlich geformten) Partikel zueinander erkennen und die Durchmischung beurteilen können. Damit könnten auch die Auswirkungen genauer studiert werden, die einzelne Parametereinstellungen der Simulation haben, die ihrerseits realen Bedingungen wie Druck oder Dauer des Mischvorgangs entsprechen.
Bei realen Mischungen kann man unter einem Mikroskop z.B. Anordnung und Gestalt der Zwischenräume untersuchen oder mögliche (unerwünschte) Sortierung der Partikel entdecken. Im Rahmen dieses Projekts soll daher ein flexibles Visualisierungswerkzeug entwickelt werden, dass als eine Art virtuelles Mikroskop intensive qualitative Untersuchungen einer simulierten Mischung ermöglicht. Dies würde das Anwendungsspektrum vorhandener Simulationssysteme erweitern, gleichzeitig wäre dies ein wichtiges Werkzeug für die Weiterentwicklung und Verbesserung der Simulation.
Stand der Forschung
Partikelmischungen
Für einige Anwendungsfelder (z.B. Beton oder Gießereiformen) werden Korngrößenverteilungen (KGV) gesucht, die eine möglichst hohe Raumausfüllung in der trockenen Packung aufweisen. In dem in der AG Kolonko entwickelten Programmsystem RaSim werden die Partikel durch eine Stichprobe von Kugeln mit Radien passend zur gegebenen KGV repräsentiert. Aus diesen Kugeln wird auf dem Rechner eine 'random close packing' erzeugt, die einer gut durchmischten realen Schüttung entsprechen soll.
Bildverarbeitung
Grafische Aspekte spielen heutzutage eine immer wichtigere Rolle bei verschiedensten Anwendungen. Dies reicht vom Unterhaltungsbereich (Video und Computerspiele) über Bildverarbeitung und 'künstliches Sehen' (Computer Vision) etwa in der Fertigungsautomatisierung bis zu interaktiven graphischen Simulationen (Virtual Reality, Entwicklung virtueller Prototypen). Ein zentrales Problem bei vielen Anwendungen besteht darin, aus großen Mengen geometrischer Daten das Aussehen und die Lage der sichtbaren Objekte korrekt darzustellen und dabei gleichzeitig mit einer realistischen Beleuchtung die Farbe der Bildpunkte zu bestimmen. Die Anzahl der Daten ist dabei oft so groß, dass es nur durch spezielle Algorithmen im Wechselspiel mit der speziellen Grafik-Hardware (graphical processing unit, GPU) gelingt, realistische Bilder von komplexen Situationen in akzeptabler Zeit zu erzeugen und dabei auch Auswirkungen interaktiver Eingriffe in Echtzeit zu zeigen.
Zu untersuchende Phänomene
Durch die im Moment durchgeführte Parallelisierung des Simulationssystems RaSim erhöht sich das Spektrum möglicher Anwendungen erheblich. Die Ergebnisse der Simulation müssen für die Anwender in einer möglichst zugänglichen graphischen Form aufbereitet werden. Sie müssen in der Lage sein, die simulierte Packung genau zu inspizieren und auf für ihre Anwendungszwecke wichtige Eigenschaften hin zu untersuchen. Dabei ist ein visueller Eindruck wesentlich aussagekräftiger als bloße Kennzahlen, wie sie bisher zur Verfügung stehen.
Gleichzeitig werden, z.B. durch die intensivere Einbeziehung nicht-sphärischer Partikel, die Anforderungen an den Simulationsalgorithmus selbst steigen. Der Kernalgorithmus des iterativen collective rearrangement geht z.B. davon aus, dass die vorhandenen Überlappungen der Partikel sich gleichmäßig über die Packung verbreiten und allmählich bis auf einen kleinen, vernachlässigbaren Rest, verschwinden. Das tatsächliche Eintreten dieser Annahmen und damit die näherungsweise physikalische Korrektheit der simulierten Anordnungen kann am besten mit einer rechnergestützten visuellen Untersuchung der Packung geschehen.
Die bisherige Visualisierung der Simulation beschränkt sich aber auf eine einfache, offline Visualisierung, die nur den Außenbereich der fertigen Partikelpackung zeigt. Der Vergleich mit der realen Betonmischung erfolgt zurzeit praktisch nur über einige Kennwerte wie die Raumausfüllung, durchschnittliche Kontaktzahl etc.
Das Virtuelle Mikroskop soll hier einen wesentlichen Fortschritt liefern und zusammen mit dem unten beschriebenen 'virtuellen Rührstab' einen ersten Schritt zu einem Virtuellen Partikellabor darstellen.
Antragstellende Wissenschaftler
Einfache Visualisierung einer mit RaSim simulierten Betonmischung.
Simulation eines Agglomerats aus 10.000 gleichartigen Kugeln